Ludger Schäfers Oberrheinlandschaften
Von Dr. Hans-Dieter Fronz
Dass es immer schon Landschaften gab, möchte man gern glauben; allein, es ist ein Irrtum. Denn Landschaft ist eine geistige Anschauungsform und als solche das Produkt des 15. Jahrhunderts. Es waren Künstler, die sie allererst hervorbrachten. Historisch gesehen entsteht Landschaft in Europa als Genre der Malerei der Renaissance. ‚Landschaft’ im heutigen Sinne ist ursprünglich das Landschaftsgemälde; noch heute erinnert die Wortfügung von der ‚malerischen Landschaft’ daran. Indem sie im Gemälde bildwürdig wurde und dadurch geistigen Status erlangte, bildete sich das, was wir heute unter ‚Landschaft’ verstehen, erst heraus: als Produkt eines neuartigen, ästhetischen Blicks auf die Natur. Zwar gab es auch vordem Feld, Wald und Hügel. Doch traten sie in der Vorstellung niemandes zu einem kohärenten Ganzen, einem ästhetischen Kontinuum namens Landschaft zusammen. Natur war in der Wahrnehmung der Menschen in ihren Bestandteilen präsent: als Ackerboden, als Rohstoffreservoir - der Wald eine Quelle für Holz, Berge für Metall - oder, auf Reisen, als zu durchquerender Naturraum zwischen zwei Städten. Niemand suchte, etwa zur Erholung, Natur freiwillig auf. Insbesondere Gebirge, seit dem 19. Jahrhundert ein Hotspot des Tourismus, waren verhasst, weil ihre Durchquerung mühselig und gefahrvoll.
Es ist der Blick und die malende Hand des Künstlers, die das, was wir heute als Landschaft bezeichnen, allererst erschaffen und uns gleichzeitig die Augen dafür geöffnet haben. In der Goethezeit lädt sich Landschaft darüber hinaus mit dem ganzen Reichtum der Subjektivität und Emotionalität dessen auf, der Natur eben nicht als Gegensatz zur Menschenwelt, sondern vielmehr als Gegenüber des Menschen wahrnimmt. Darin wandelt sie sich zum Spiegel des Inneren, zur Seelenlandschaft.
Angesichts dieser Zusammenhänge besitzt es einen besonderen Charme, die Landschaftsansichten des vorliegenden Bandes nicht in fotografischer Form, sondern in Gestalt von Kunstwerken – Gemälden und Zeichnungen – vorgelegt zu bekommen. Ludger Schäfers Landschaften am Oberrhein führen uns gewissermaßen an den Ursprung von Landschaft zurück. Das verleiht ihnen eine starke Authentizität.
Für den Maler und Zeichner Ludger Schäfer war Landschaft schon immer ein Sujet. Aufgewachsen in einer Stadt in Nordrhein-Westfalen, studierte er in Freiburg und wurde später in Britzingen bei Müllheim ansässig, wo er auch heute lebt. Südbaden ist ihm zur zweiten Heimat geworden. „Es ist die Landschaft am Oberrhein mit ihren intensiven Farben, zwischen Schwarzwald und Vogesen, die mich beeindruckt“, sagt er. Mit Pinsel und Farbe, auch mit dem Fineliner hat er sie in zahlreichen Ansichten auf Leinwand und Papier gebannt. Seinen Farben mischt er häufig Lös und Sand aus der von ihm gemalten Landschaft bei. Dabei entstehen Reliefstrukturen mit einer erhöhten Lichtreflexion, die seinen Gemälden eine besondere Ausstrahlung geben: Hell angestrahlt zeigen sie eine Art 3D-Effekt.
Breitete sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Landschaftskunst die Pleinairmalerei aus, so kann Ludger Schäfer beim Malen oder Zeichnen auf die Präsenz des Motivs verzichten. Er besitzt nämlich ein gutes Bildgedächtnis. Bis ins Detail sind ihm die von ihm meist auf dem Mountainbike durchquerten und somit buchstäblich „erfahrenen“ Landschaften noch später gegenwärtig. Seine Bilder und Zeichnungen entstehen im heimischen Atelier aus der Erinnerung.
Oft schon wurde der Oberrhein ob seiner landschaftlichen Schönheit gepriesen. Nicht ohne Grund firmiert die mit reizvollen Aus- und Ansichten reich gesegnete Region in verschiedenen Buchpublikationen bereits im Titel als „Paradies am Oberrhein“. Ludger Schäfers Ehrgeiz war es nun keineswegs, in dem Band die (vermeintlich) schönsten Ansichten und beliebtesten Panoramen zusammenzustellen. Bei der Wahl seiner Motive ließ er sich vielmehr von seinen spontanen Eindrücken und vom Zauber des Augenblicks leiten. So ist das Buch kein Kompendium anerkannter landschaftlicher Schönheiten oder wandertouristischer Kleinodien geworden – gottlob! -, sondern ein Dokument authentischer Landschaftswahrnehmung und Landschaftskunst.
Die ganze Vielfalt oberrheinischer Landschaften breitet der Künstler vor unseren Augen aus: Rheinebene und Schluchsee, Markgräflerland oder Schwarzwalderhebungen wie Kandel und Blauen. Nicht selten liefern die Titel seiner Werke keinen oder nur einen vagen Hinweis auf die geografische Lage der jeweiligen Landschaft. Während andere Motive präzis verortet werden: so der Isteiner Klotz, das Hebel-Haus in Hausen im Wiesental - oder Kloster Murbach im Elsass. Eine ganze Serie von Gemälden trägt den Titel „Himmel und Erde“. Es ist zugleich der Untertitel des Buches. In der Moderne ist die Serie ein Mittel, ein Sujet gestalterisch durchzudeklinieren und unterschiedliche Aspekte auszukosten: im konkreten Fall beispielsweise die verschiedenen Valeurs von Tages- und Jahreszeit. Ludger Schäfer selbst vergleicht das serielle Verfahren mit Bachs „Kunst der Fuge“.
Seine Landschaften sind weniger realistisch gemalt als ausdrucksstark. Wichtig für die Bildstimmung sind nicht nur die Konturen und Farben einer Landschaft, sondern beispielsweise die Witterung und mithin die Luftperspektive. Auch hier ist der Künstler kein realistischer Maler. Nicht wenige Bilder zeigen einen Wolkenhimmel - doch Ludger Schäfers Wolken sind manchmal grün. In durchaus vergleichbarer Weise gaben die deutschen Expressionisten ihren Figuren grüne Gesichter oder Leiber: malerische Umsetzung einer höheren, „gefühlsmäßigen“ Wahrheit. Von gleicher Ausdruckskraft sind bei Ludger Schäfer rosa und violette Felder oder Rebhänge. Doch schießt er in der Farbgebung seiner Bilder nie übers Ziel hinaus.
Häufig integriert er in die Landschaftsbilder und -zeichnungen Architektur; sofern sie nicht das eigentliche Sujet bildet wie in Gemälden mit Schwarzwaldhöfen oder mit Bammerthäuschen. Darin akzentuiert Ludger Schäfer ein wichtiges Wesensmerkmal der Ländereien am Oberrhein. Seit je vermischen sich in der uralten Kulturlandschaft Natur und Kultur aufs innigste.
Ludger Schäfers Verzicht auf fotorealistische Wiedergabe der Motive lässt an die Redewendung ‚weniger ist mehr’ denken. Dass fehlende Naturtreue mit Eindrücklichkeit und gesteigerter Gefühlstiefe einhergehen kann, wussten sowohl die Ex- als auch schon die Impressionisten. Ein Pendant dazu auf dem Feld der Zeichnung erwähnt Ludger Schäfer gesprächsweise. „Die Kunst des Zeichnens ist im Grunde die Kunst des Weglassens“, lautet seine Maxime als Zeichner.